Mit Verstand und Augenmaß! Flächensparen in der kommunalen Praxis

GRIBS-Kommunalkongress 2018

Lesedauer: 10 Minuten
Gesundes Grün - Felder und Höfe

Zum 32. Kommunalpolitischen Kongress lud die Kommunalpolitische Vereinigung der GRÜNEN mit einer Tagung der Petra-Kelly-Stiftung und des GRIBS-Bildungswerks e.V. unter dem Titel „MIT VERSTAND UND AUGENMASS! - Flächensparen in der Kommunalen Praxis“ am vergangenen Wochenende vom 27.-29. April in die Räume der Bayerischen Bauakademie nach Feuchtwangen.

Daniel Fuhrhop

Den Aufschlag machte Daniel Fuhrhop, Buchautor mit einem provokanten Vortrag unter der Überschrift „Verbietet das Bauen – Der Neubau ist überflüssig!“. Das wirklich ökologische Bauen, so Fuhrhop, ist wenn gar nicht neu gebaut wird und das sei möglich. Seit 20 Jahren hat beispielsweise die Bundesrepublik einen annähernd gleichen Bevölkerungsstand von ca. 81 Mio. Menschen, die Anzahl der Wohnungen aber haben im selben Zeitraum von 35 Mio auf 41 Mio. zugenommen. Was wir brauchen, so Fuhrhop, sind keine neuen Wohnungen, sondern eine intelligentere Nutzung des vorhandenen Wohnraums. Statt Wohnraum bauen, lebendigeren Wohnraum schaffen! Dazu gibt es auch nachahmenswerte Modelle, wie beispielsweise „Wohnen für Hilfe“, Wohnungstauschbörsen, Haustausch u.v.m.  Fuhrhop hielt außerdem ein Plädoyer für einen Bewusstseinswandel beim Wohnflächenbedarf, eine Art „Bürgerbeteiligung für`s Nichtbauen und fordert jede Kommune auf, sich über Baulücken, Leerstände und Innenentwicklungspotenziale ein wirklich klares Bild zu verschaffen und diese Potenziale zuallererst zu nutzen.



(Vortrag als PDF-Datei)

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Gunter Schramm

Daran schloss der Beitrag von Gunter Schramm vom Büro Planwerk aus Nürnberg nahtlos an. Er informierte die TagungsteilnehmerInnen über Instrumente, Werkzeuge und Strategien für eine gelingende Innenentwicklung. Der Vorrang der Innenentwicklung vor Außenentwicklung sei nicht nur eine Voraussetzung zur Reduzierung des viel zu hohen Flächenverbrauchs, sondern auch dringend notwendig für eine Belebung und Aufwertung der Ortskerne, Bedingung für den Erhalt wertvoller Bausubstanz und der Verbesserung des Ortsbildes, für die Erhöhung der Nutzungsdichte und damit Garant für eine bessere Auslastung der technischen und sozialen Infrastruktur und Grundlage für eine Sicherung des zentralen Nahversorgungsangebots. Entwicklungspotenziale bieten sich insbesondere bei den Baulücken, bei den nur geringfügig bebauten Grundstücken (z.B. ehemaliger landwirtschaftlicher Betriebe), bei Grundstücken mit Fehl- und Mindernutzungen, bei leerstehenden Gebäuden verschiedener Art, also sowohl bei Wohngebäude, Läden, Hofstellen und beim vom Leerstand bedrohter Gebäude. Schramm bot den Zuhörenden einen ganzen Werkzeugkasten an Instrumenten für die erfolgreiche Innenentwicklung. Dazu gehört in erster Linie erst einmal die Grundlagen zu ermitteln, d.h. die Leerstände, Baulücken und Gefährdungen in einer Flächenmanagement-Datenbank zu erfassen. Mit einem Grundsatzbeschluss des Gemeinderats „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ sind die Qualitäten der Innenentwicklung kontinuierlich zu kommunizieren, um dadurch eine Bewusstseinsveränderung herbeizuführen. Gemeinden können darüber hinaus selbst finanzielle Anreize geben und Förderprogramme zur Leerstandbeseitigung auflegen und zusätzlich die vorhandenen Programme von Städtebauförderung und Dorferneuerung nutzen. Alle Fördermöglichkeiten können in einer eigenen Förderfibel zusammengefasst und beworben werden. Ein wesentliches Element ist zudem die Beratung der potenziellen Bauherren durch kostenlose Bau- und Sanierungs- und Energieberatung. Letztendlich ist das Wichtigste immer und immer wieder beharrlich die Bauinteressenten durch gute Argumente und durch das Vorstellen von Vorzeigeprojekten zu überzeugen. Gunter Schramm erläuterte den vorgestellten Werkzeugkasten anhand von eigenen Projektbeispielen u. a. aus dem nördlichen Fichtelgebirge und von der Kreuzbergallianz in der Rhön.



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Dr. Fabian Thiel

„Heißer Boden“ war der Vortrag von Privatdozent Dr. Fabian Thiel aus Frankfurt überschrieben. Dr. Thiel ging der Frage nach, inwieweit die Allgemeinwohlverpflichtung des Grundgesetzes „Eigentum verpflichtet“ für die Innenentwicklung genutzt werden kann und wo die Grenzen dieser Verpflichtung liegen. Schlägt nicht die „Baufreiheit“, die „Niederlassungsfreiheit“ und letztendlich die Eigentumsfreiheit nach europäischen Recht nicht die Allgemeinwohlverpflichtung? Anhand ganz konkreter Fälle erläuterte Dr. Thiel die Möglichkeiten und Grenzen des kommunalen Eingriffs in das Eigentum und appellierte an die anwesenden MandatsträgerInnen zur Vorsicht und zum überlegten Handeln. Etwas desillusioniert über die rechtlichen Möglichkeiten von „Eigentum verpflichtet“ geht der Weg zum Erfolg wohl eher über Reden Reden Reden, Überzeugen und Fördern.



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Dr. Frank Molder

„Sind neue Baugebiete wirklich gut für den Gemeinde-haushalt?“ fragte Dr. Frank Molder von der Baader Konzept GmbH. Sehr häufig gehen Kommunen äußerst blauäugig an die Erschließung neuer Wohn-Baugebiete, ohne im ausreichenden Maße vorher zu errechnen, welche Folgekosten damit auf die Stadt oder Gemeinde in Zukunft zukommen werden. Sobald man das systematisch tut und die Folgekosten erfasst, kommt man relativ schnell zum Ergebnis, dass Baugebiete früher oder später immer Folgekosten verursachen, für welche die Kommune und die Allgemeinheit aufkommen müssen. Das Programm-Modul „FolgekostenSchätzer“ zeigt auf, wie schnell sich bei welcher Planung welche Folgekosten in den Bereichen technische Infrastruktur und Grünflächen ergeben – und wer sie bezahlen muss. Dabei sind die oft auch sehr teuren Kosten für die soziale Infrastruktur, wie z.B. Kindertageseinrichtungen, Schulen usw. noch gar nicht mit einberechnet. Molder kommt aufgrund seiner vielfältigen Erfahrung aus den Modellprojekten zu dem Ergebnis, dass durchschnittlich nach 40 Jahren Folgekosten von etwa 45-70% der ursprünglichen Herstellungskosten anfallen, für die im Wesentlichen – erst Recht jetzt nach dem Wegfall der Straßenausbaubeitragssatzung - die Stadt oder Gemeinde und die Allgemeinheit herhalten müssen. Sein Fazit: Neubaugebiete am Ortsrand führen i.d.R. zu höheren Folgekosten, als bei der Innenentwicklung. Die neue Erschließung mit technischer Infrastruktur führt zu hohen zusätzlichen Kosten im Unterhalt bei häufig geringerer Dichte und deshalb zu höheren Kosten pro Kopf bzw. Quadratmeter. Molder empfiehlt in jedem Fall das vorhandene kostenfrei verfügbare Programm-Modul des Folgekostenschätzers zu nutzen. Infrastrukturfolgekosten-Schätzer seien in jedem Fall ein wichtiges Instrument auf dem Weg zur Kostenwahrheit bei der Diskussion der Siedlungsentwicklung in den Kommunen und unbedingt anzuwenden.



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Wolfgang Borst

Ein sehr anschauliches Beispiel für eine erfolgreiche Strategie der Innenentwicklung präsentierte der Erste Bürgermeister von Hofheim in Ufr., Wolfgang Borst. Die sogenannte Hofheimer Allianz aus sieben Kommunen mit insgesamt 53 Gemeindeteilen hatte über Jahre hinweg mit einer schrumpfenden Bevölkerungszahl zu kämpfen. Trotzdem wurden, weil das der Wunsch von den „Häuslebauern“ war, Neubaugebiete ausgewiesen bis durch Bgm Borst erkannt wurde, dass dies der Verödung der Ortskerne nur noch weiter Vorschub leistet. „Jeder Siedlungs-Neubau verursacht einen Leerstand im Altort!“, so Bgm Borst. Die in der Hofheimer Allianz zusammengeschlossenen Gemeinden machen sich seither systematisch daran über eine Flächenmanagement-Datenbank ihre Leerstände, die Baulücken und die drohenden Leerstände zu erfassen. Die Eigentümerbefragung spielt dabei eine wesentliche Rolle. Bei der Vermarktung der Leerstände und Baulücken wird darauf geachtet, dass das Bauen, bzw. Renovieren im Ortskern günstiger ist, als ein vergleichbares Objekt in einem möglicherweisen neuen Siedlungsgebiet. Dabei greifen die Gemeinden den BürgerInnen durch eigene Förderprogramme unter die Arme. Es gibt ein einheitliches Förderprogramm für „Investitionen zur Nutzung vorhandener Bausubstanz (50 €/m²) im Ortskern, Hilfen bei der Entsorgung des Bauschuttes durch die Gemeinde, kostenlose Planungsberatung mit Kostenschätzung durch Architekten der Allianz und eine kostenfreie Erstberatung zur energetischen Sanierung. Häufig können durch die Erfahrung der Gemeinden auch Fördergelder aus Landes- oder Bundesprogrammen abgeschöpft werden. Als Baustein Nummer 2 setzen die Gemeinden der Allianz auf die Erhaltung bzw. Erhöhung der Lebensqualität im Ortskern, um zukünftige Leerstände weitgehend zu verhindern. Das beginnt bei der Hilfe zur Errichtung von Dorf-Läden bis hin zur Unterstützung von Dorfgemeinschaftshäusern zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern in mittlerweile schon 12 Gemeinden oder Gemeindeteilen. Flankiert wird das mit Modellen der Existenzgründerinitiative für Startups, mit Nachbarschaftshilfeprojekten und einer Vielzahl von kulturellen Veranstaltungen. Das Ergebnis der Bemühungen kann sich sehen lassen. Der Wanderungssaldo hat sich ins Positive gewandelt und trotzdem konnten Baugebietsausweisungen in großer Zahl zurück genommen werden. Insgesamt wurden bereits mehr als 200 Maßnahmen der Innenentwicklung gefördert und es konnten über 90 bereits ausgewiesene Baurechte zurückgenommen werden. Dafür hat die Hofheimer Allianz bereits eine Vielzahl von Auszeichnungen erhalten.



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Cord Söhlke

Mit dem Tübinger Modell einer qualitätsvollen und durchmischten Quartiersentwicklung machte der Tübinger Baubürgermeister Cord Söhlke den Schwenk zu einer Stadt mit 90.000 Einwohnern. Das Tübinger Modell der Stadtentwicklung folgt dabei den Gestaltungsgrundsätzen der „Europäischen Stadt“ mit folgenden Bausteinen: Kleinteilige Nutzungsmischung durch ein Neben- und Miteinander von Wohnen und Handel, Handwerk und Gewerbe; Variable Parzellierung der Grundstücke und Vielfalt in der Architektur; qualitätsvolle städtebauliche Dichte und Integration der Altbauten; Einbinden von privaten Baugemeinschaften und Unterstützung durch die Stadt; Soziale Durchmischung der BewohnerInnen. Das Bündeln des ruhenden Verkehrs in Quartiersgaragen am Rande schafft autoverkehrsarme und autoverkehrsbefreite Zonen mit einer hohen Aufenthaltsqualität und einer intensiven Durchgrünung. Söhlke zog zum Ende seines Vortrags das positive Fazit: Gemischte Quartiere sind attraktiv für vielfältige Gruppen – „es muss nicht immer das Reihenhaus sein“. Das Instrument der Konzeptvergabe von Grundstücken eröffnet Spielräume für neue Akteure, Vielfalt und Qualität – zugegeben bei höherem Aufwand für Kommunen. Und selbst Aufgaben wie Sozialer Wohnungsbau und Flüchtlingsunterbringung sind kleinteilig und stadtverträglich möglich.



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Christian Bretthauer

Nachdem sich eine Gemeindeentwicklung nicht nur um das Thema Wohnen dreht, sondern in der Regel auch immer die Frage von Neuausweisungen von Gewerbegebieten eine Rolle spielt, beschäftigte sich der letzte Vortrag mit den Fragen der Gewerbeentwicklung im Bestand.

Christian Bretthauer, Zentralgeschäftsführer der Firma DV Immobilien Gruppe aus Regensburg brachte seine  Erfahrung als mittelständischer Projektentwickler bei der flächensparenden und nachhaltigen Gewerbeentwicklung im Bestand an die kommunalen MandatsträgerInnen. Für eine wirklich qualitätsvolle Entwicklung von Gewerbestandorten machte Bretthauer einige Rahmenbedingungen zur Voraussetzung: Am Beginn steht immer eine kritische Marktanalyse. Es hilft nichts, einfach wild darauf los zu planen für einen imaginären potenziellen Bedarf, ohne den Bedarf genau zu hinterfragen. Es folgt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Standort: was ist vorhanden, was wird gebraucht, welche Einrichtungen erwarten welche Mietpartner, Beschäftigte, Endkunden und wie lassen sich interne wie externe Synergien auslösen? Wichtig sind flexible Grundrisse für die Expansion bzw. Neuorganisation von Unternehmen, großzügig gestaltete Freiräume mit Grün- und Freiflächen am besten mit Wasserzonen, eine optimale Verkehrsanbindung (ÖPNV, Autobahn,  Bundesstraßen, moderne Mobilitätsformen), eine Steuerung der Entwicklung durch ein operatives Management und die zusätzliche Ansiedlung  von Service-Bausteine, wie Nahversorgung, Gastronomie, Kinderbetreuungseinrichtungen u.a., das schafft auch im Gewerbegebiet eine hohe Aufenthaltsqualität und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit. Auf einen Nenner gebracht gilt auch für die Entwicklung von Gewerbegebieten der Leitsatz „Qualität geht vor Quantität!“.



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Also: intelligenter, vorausschauender und qualitätvoller Wohnen, Planen und Bauen geht! Der Übertrag auf die eigene Situation vor Ort gelang in den abschließenden Arbeitsforen. Ob Dorf, Stadt oder Landkreis, überall ergaben sich viele geeignete Möglichkeiten, in der eigenen Kommune anzupacken.

Claudia Bosse

Claudia Bosse, die souverän durch die Tagung führte und die Diskussion mit den Teilnehmenden moderierte, selbst Kreisrätin und im GRIBS-Vorstand, fasste das Resumee zusammen: Die Tagung „MIT VERSTAND UND AUGENMASS! - Flächensparen in der Kommunalen Praxis“ hat gezeigt, es ist möglich, Dörfer, Städte und Landkreise auch ohne hohen Flächenverbrauch voranzubringen. Die Instrumente sind da, es braucht den politischen Willen, diese anzuwenden. Überzeugte Bürgermeister*innen können mit Stadt- und Gemeinderat und der Verwaltung Entscheidendes bewegen. Notwendig dafür sind ein großes Beharrungsvermögen, gelungene Kommunikation, viel Überzeugungsarbeit, Mut zu Neuem und das konsequente Anwenden des vorhandenen Instrumentariums.



Weitere Impressionen finden Sie auf der Seite von GRIBS.

ReferentInnen

Wolfgang Borst

1. Bürgermeister Stadt Hofheim i.UFr.

Tel.: 09523/50337-0

E-Mail: info@stadt-hofheim.de

Christian Bretthauer

Zentralgeschäftsführer DV Immobilien Management GmbH Regensburg

Tel.: 0941/4008-0

E-Mail: info@dvimmobilien.de 

Daniel Fuhrhop

Autor

Tel.: 0441/9332695

E-Mail: post@daniel-fuhrhop.de

Internet: www.daniel-fuhrhop.de

Dr. Frank Molder

Dipl.-Ing. Umweltsicherung und Landesentwicklung, Projektleiter, Baader Konzept GmbH

Tel.: 09831/6193-16

E-Mail: f.molder@baaderkonzept.de

Internet: www.baaderkonzept.de

Gunter Schramm M.A.

Stadtplaner und Geograf, Soziologe, Politologe, Büro Planwerk

Äußere Sulzbacher Str. 29

90491 Nürnberg

Tel.: 0911/650828-0

E-Mail: schramm@planwerk.de

Internet: www.planwerk.de

Cord Soehlke

Baubürgermeister der Universitätsstadt Tübingen

Friedrichstraße 21

72072 Tübingen

Tel.: 07071/2042260

E-Mail: cord.soehlke@tuebingen.de

Internet: www.tuebingen.de/soehlke

Dr. Fabian Thiel

Privatdozent, Landmanagement, Vertretungsprofessur an der Frankfurt University of Applied Sciences

Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Immobilienbewertung

Fb 1 - Architektur, Bauingenieurwesen und Geomatik

Frankfurt University of Applied Sciences

Nibelungenplatz 1

60318 Frankfurt am Main

Tel.: 069/1533-2337

E-Mail: bodenrecht@fabian-thiel.de

Internet: www.fabian-thiel.de



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