Ende der Privatheit

Heute ist es die Digitalisierung, die auf Gesellschaft und Kultur einwirkt, auf Sprache und Bilder, auf unsere Haltung zur Welt. Wird sie das Ende der Privatheit bringen, hat das Individuum ausgedient?

Veranstaltungsplakat - Ende der Privatheit

Brauchen wir eine neue Reformation?

Die Reformation von 1517 ist undenkbar ohne die Medienrevolution des Buchdrucks. Sie hat Gesellschaft und Kultur fundamental verändert und das Individuum aus den Dogmen der Kirche befreit.
Heute ist es die Digitalisierung, die auf Gesellschaft und Kultur einwirkt, auf Sprache und Bilder, auf unsere Haltung zur Welt. 

Die VS-Vorsitzende Eva Leipprand wies in ihrer Einführung zur Diskussionsrunde darauf hin, wie sehr sich die Zeiten ähnelten: „Wir leben in einer Umbruchszeit“, einer wie im 16. Jahrhundert. Schreibende, so Leipprand, stünden heute vor einer „besonders drängenden Frage“: Denn sie schafften „Bilder und Symbole“ für die gesellschaftliche Auseinandersetzung. „Was bedeutet die Digitalisierung für sie? Schrankenlose Möglichkeiten bei der Verbreitung ihrer Werke? Angst vor Überwachung und Anpassung?“

In ihrem Impulsreferat sprach Susanna Wolf von der Universität Erlangen über »(Digitale) Grundrechte stiften und erhalten: Vom Wertcharakter der Privatheit in liberalen Demokratien«. Sie strich die Angst vor Überwachung heraus – ein Risiko für die Pluralität. Es würde ein Konformitätsdruck erzeugt, also eine Verhaltensänderung. Zu fragen sei, was die Privatheit, ein Ideal der Französischen Revolution, heute wert ist und damit verbunden Würde, freie Entfaltung und das Recht auf Rückzug in die individuelle Privatsphäre. Susanna Wolf umriss die Ziele der »Charta der digitalen Grundrechte der EU«, an der Netzwerkaktivisten, Schriftsteller, Journalisten, Bürgerrechtler, Politiker und Wissenschaftler bis zum Dezember 2016 gearbeitet hätten – kein verfassungsgebender Text, sondern ein Diskussionspapier zu den Grundrechten in den europäischen Gesellschaften.

Die Probleme der Digitalisierung haben ethischen Charakter – das war die Kernaussage der Diskussionsbeiträge, vor allem des von Ulrike Schäfer, der Würzburger Schriftstellerin. Sie formulierte ihr Unwohlsein mit einem Eingeständnis und einer Fragestellung: „Den Zwiespalt zwischen Bürgerin und Nutzerin kenne ich gut, er verläuft mitten durch mich hindurch. Ich schlingere und arbeite mit Verdrängung. Nur dass die Verdrängung brüchig ist. Und dass die Frage vielfältig wiederkehrt. Nicht nur: Was machen andere mit meinen Daten? Sondern auch: Was mache ich mit den Daten anderer?“ Ausgehend von Erfahrungen mit der Digitalisierungsaktion im Jahr 2013 und der Charta von 2016 plädierte sie für einen breiten und umfassenden Widerstand „gegen staatliche und wirtschaftliche Ausspähung“, unter Vermeidung von Polemik und Häme untereinander. Und parallel dazu ein Streit um Lösungen der Frage: „Wie wollen wir die digitale Zukunft gestalten?“

Der Schriftsteller Andreas Heidtmann, der in Leipzig lebt und dort die Plattform „Poetenladen“ gründete, die heute als ein literarischer Buchverlag funktioniert, ist weitaus optimistischer. Er vertraut seinen Erfahrungen, auch den Büchern in „ansprechender Aufmachung“: Schriftstellerinnen und Schriftsteller „ohne Buch droht es früher oder später, im digitalen Nirwana zu verschwinden“. Die neuen Medien böten Dialogmöglichkeiten. Eine Demokratie sei im Gange. „Die Idee des Künstlerindividuums verblasst, und die Differenz zwischen Schreibenden und Lesenden verringert sich.“ Wie eine Ergänzung wirkten Susanna Wolfs Ausführungen: Der Prozess sei nur mit Bildung und Transparenz zu steuern; Datenschutz müsse ein Schulfach werden. Eindringlich empfahl sie den Schriftstellern, die »Charta der digitalen Grundrechte der EU« zu unterstützen.

In der sich anschließenden sehr lebendigen Diskussion wurden verschiedene Aspekte der vorher genannten Inputs aufgenommen und hinterfragt. Eines der Hauptthemen war der Frage gewidmet, wie wir unsere individuelle Privatheit retten können. Ebenfalls wurde in der anschließenden Diskussion zum Ausdruck gebracht, welche Rolle die Banken und IT-Konzerne spielen.

ReferentInnen

Impulsreferat
Susanna Wolf, M.A.
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Christliche Publizistik an der Universität Erlangen-Nürnberg

Diskussion
Ulrike Schäfer
Schriftstellerin
Dr. Werner Meixner
TU München, Institut für Informatik
Andreas Heidtmann
Schriftsteller

Moderation
Eva Leipprand
Vorsitzende des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS)

Klavier
Udo Agnesens

Partner
Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS)

Art der Veranstaltung
Diskussion