Kleine Schritte gegen rechte Tritte?

Viele Initiativen gegen Gewalt und Intoleranz plagen existentielle Sorgen. Diese von den Medien weitgehend unbeachtete Entwicklung war Anlass für die Akademie für Politische Bildung und die Petra-Kelly-Stiftung, diesem Thema in einer Workshop-Tagung nachzugehen.

Petra-Kelly-Stiftung Logowand

Konzepte gegen Rechtsextremismus

Wer erinnert sich nicht an die Bilder des "Aufstands der Anständigen" im Jahr 2000: Hunderttausende Demonstrierender auf den Straßen, Lichterketten, Mahnwachen und viele spontane Aktionen zwischen Garmisch und Rostock. Dies war auch die Geburtsstunde einer Welle von staatlichen Programmen und privaten Initiativen. Drei Jahre später plagen viele dieser Initiativen gegen Gewalt und Intoleranz existentielle Sorgen. Diese von den Medien weitgehend unbeachtete Entwicklung war Anlass für die Akademie für Politische Bildung und die Petra-Kelly-Stiftung, diesem Thema in einer Workshop-Tagung nachzugehen.

Die Tagung verfolgte dreierlei Ziele: Zum einen ein Forum zu bieten zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch für die MitarbeiterInnen von Programmen und Initiativen, zum anderen um eine Zwischenbilanz ihrer Arbeit zu ziehen und schließlich - damit eng zusammenhängend - nach den Zukunftsperspektiven zu fragen. Die große Resonanz aus ganz Deutschland auf die Einladung zur Tagung - darunter viele Aktive und TeilnehmerInnen, die sich professionell mit diesem Thema auseinandersetzen - zeigte deutlich, dass ein starkes Bedürfnis zum Informations- und Erfahrungsaustausch vorhanden ist.

Den Beginn der Tagung markierte ein thematischer Block, in dem die Erscheinungsformen und sozialökonomischen sowie psychosozialen Ursachen von Rechtsextremismus analysiert wurden. Hans-Gerd Jaschke (Polizei-Führungsakademie Münster) widmete sich dem ersten Aspekt. Eingangs wies er darauf hin, wie groß die Spannweite der Erscheinungsformen sei: Hohmann-Affäre wie "braune RAF" (Beckstein) markierten nur zwei Pole. Ein grundlegendes Problem sei es, so Jaschke, dass sich die Täter von Rechts durch die Gesellschaft in ihrer Rolle als "Vollstrecker des Volkswillens" legitimiert fühlten. Dafür sei eine weit verbreitete, tief verankerte wohlwollende Einstellung gegenüber "rechten" Haltungen verantwortlich. Direkte und indirekte Formen der Diskriminierung seien als Belege zu sehen, dass rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen "in der Mitte der Gesellschaft" ihren Platz hätten.

Auf die sozialökonomischen und psychosozialen Ursachen ging Birgit Rommelspacher (Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin) ein. Analog der Argumentation vieler Eltern von rechtsextremistischen Jugendlichen vollziehe sich auch der öffentliche Diskurs: Rechtsextremismus werde zu einem Jugendproblem degradiert, das von der allgemeinen Desorientierung der Jugendlichen herrühre. Die Jugend sei aber eigentlich unpolitisch, also handele es sich ja im Grunde "nur" um ein soziales Problem. Rommelspacher räumte auch mit dem Vorurteil auf, Rechtsextremismus würde kausal mit Arbeitslosigkeit zusammenhängen. "Vielmehr sind Werte und Einstellungen entscheidend, nicht die sozialstrukturellen Gegebenheiten als solche." Oft seien die unkritischen Erzählungen der Großeltern Ausgangspunkt neonazistischer Karrieren. Zumeist seien es Außenseiter, die in einen Kreislauf sozialer Verarmung geraten, die getrieben werden von der "Sehnsucht nach Mitgefühl und Freundschaft." Sehr oft zu spät merkten sie, dass Rechtsextremismus in erster Linie "Erstarrung, Verengung, Verödung" bedeute. Ansatzpunkt für die Pädagogik müsse sein, "es zu schaffen, dass sie auch die andere Seite sehen, die Widersprüche, die Brüche der Idelogie."

Christiane Tramitz (Starnberg), Autorin des Buches "Unter Glatzen", machte ähnliche Erfahrungen. Ihre Studie, die auf Interviews mit verurteilten rechtsextremistischen Gewaltverbrechern beruht, macht deutlich, dass die Anfälligkeit für dieses Gedankengut schon in der Kindheit grundgelegt wird. "Trauer, Angst und Einsamkeit" sowie die Erfahrung "physischer und psychischer Demütigung" durch die Eltern führten zur zentralen "Ohnmachts-Erfahrung". Die Gruppe hingegen steht für die Erfahrung, dass man Macht habe und überlegen sei. "Ideologie", so Tramitz, "spielt bei den stark politisierten Rechtsextremisten eine wirkliche Rolle, über die Argumentation gegen die Ideologie kommt man an diesen harten Kern nicht heran."

Die "Sicht der Macher" stand im Zentrum des Workshop-Blocks. Dabei stellten neun Organisationen und Initiativen ihre konkreten Projekte vor. Das "Bündnis für Toleranz und Demokratie" (www.buendnis-toleranz.de) ist so etwas wie eine Dachorganisation, die zum einen als Netzwerkknotenpunkt für über 900 Gruppen agiert, zum anderen diese durch staatliche Förderprogramme unterstützt. "Rund 200 Millionen Euro", so Reiner Schiller-Dickhut (Berlin), "wurden und werden allein im Programm 'Civitas' zwischen 2001 und 2006 bereit gestellt, um zivilgesellschaftliche Strukturen zu schaffen und zu stützen." Dasselbe Ziel verfolgt auch "Gesicht zeigen! ? Aktion weltoffenes Deutschland e. V." (www.gesichtzeigen.de), vorgestellt von Rebecca Weis (Berlin). Bereits mit mehreren Kinospots hat sich der Verein, der sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert, an "die schweigende Masse" gewandt, daneben gibt es einen Medienkoffer sowie ein Musikpaket. Die neueste Idee heißt "Rent an immigrant". Dabei gehen Immigranten in Schulen und versuchen durch die gezielte Vermittlung von Wissen über andere Kulturkreise Vorurteile abzubauen.

Die Gruppen und Initiativen, die sich in den Workshops präsentierten, verfolgen verschiedene Zielrichtungen: Ein breites Informationsangebot via Internet stellen die Macher von www.jugendschutz.net (Stefan Glaser, Mainz) zur Verfügung. Fridolin Wimmer (Gymnasium Vilshofen: "Rechtsradikale Musik im Unterricht") und Bernhard Krohn (Berufsschule Passau: "Schule Ohne Rassismus - Schule Mit Courage") setzen auf die Sensibilisierung und Immunisierung von Jugendlichen. Ebenfalls in die Schulen gehen Erich Schriever und Gandhi Chahine (Schwerte), die Initiatoren von "Rap für Courage" (www.rap-fuer-courage.de). Ziel ist es dabei, gefährdeten Jugendlichen durch die Erarbeitung von Rap-Songs und Filmen wieder Selbstvertrauen zu geben. Projekttage und Seminare zu interkulturellem Lernen und antirassistischer Bildung bieten die "Landesinitiative für Demokratie, Interkulturelle Verständigung und Antirassismus" LIDIA Bayern (www.lidia-bayern.de). Hierbei handelt es sich - so Silke Schuster und Jakob Ruster - "um ein Netzwerk mit Teilprojekten in München und Ingolstadt." Direkt um die Betroffenen in ihrem Umfeld kümmert sich Joachim Bischoff von der Streetworkerzentrale München. Er sucht immer wieder die Treffpunkte von Rechtsextremisten auf und versucht mit denjenigen, die noch nicht vollständig indoktriniert sind, ins Gespräch zu kommen und ihr Weltbild zu erschüttern. Einer, dem der Ausstieg aus der rechtsextremistischen Szene gelang und der die Organisation "Exit Deutschland" (www.exit-deutschland.de) vorstellte, ist Matthias Adrian (Berlin). "Exit" ist eine Organisation, die sich darauf spezialisiert hat, Aussteigewillige zu unterstützen und ihnen die ersten Schritte außerhalb der Gruppe zu erleichtern.

"Sehr schwierig", so Birgit Rommelspacher in ihren Bemerkungen über die Wirkung der Konzepte, "gestaltet sich die Erfolgskontrolle, da in Deutschland fast keine Evaluationsbegleitung herrscht." Ob die Konzepte, die mit sehr viel Engagement, Motivation und Kreativität voran getrieben werden, als sinnvoll einzustufen seien, hänge sehr stark von der Bewertung folgender Faktoren ab: Konzept-, Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Bei der Konzeptqualität beispielsweise ist nach der Zielgruppe (Täter - Opfer), den Methoden (Einzelfall - Gruppe) und den Inhalten (psychosozialer oder politischer Ansatz) zu fragen.

Die Komponenten der Strukturqualität (u.a. finanzielle und personelle Ausstattung) schlugen die Brücke zur Abschlussdiskussion, in der es um die Frage "Wie weiter?" ging. Die Wortmeldungen kreisten dabei um folgende Themenbereiche:
a) Vernetzung: Durch die weitere Intensivierung der Zusammenarbeit und den verbesserten Informationsaustausch zwischen den Initiativen und Gruppen könnte Konkurrenz um Ressourcen zwischen ihnen vorgebeugt und die Arbeit effizienter und flächendeckender gestaltet werden.
b) Verstetigung: Die Arbeit der Gruppen muss auf eine finanziell langfristig gesicherte Grundlage gestellt werden. Die ungesicherte finanzielle Zukunft der Projekte und der enorme bürokratische Aufwand zur Sicherung finanzieller Mittel nimmt sehr viel Zeit und Energie in Anspruch.
c) Motivation: Generell ist die Motivation hoch. Immer wieder sind es die kleinen Erfolgserlebnisse, aus denen die Mitarbeiter Motivation schöpfen. Darüber hinaus wäre es aber zu begrüßen, dass die Aktiven durch die Öffentlichkeit mehr anerkannt würden. Natürlich ist es auch so, dass die ungesicherte persönliche Zukunft durch zeitlich befristete Verträge bei nicht wenigen MitarbeiterInnen motivationsmindernd wirke. Eine "gewisse Frustration", so Erich Schriever ergänzend, "ist aber dann doch die Folge, wenn wie jetzt in Nordrhein-Westfalen durch die Schließung von 1000 Einrichtungen funktionierende Netzwerke zerstört werden."
d) Professionalisierung: Um mehr Einfluss auf die Politik zu erreichen wurde dringend mehr und professionellere Lobbyarbeit angemahnt. Durch die Gründung eines Verbandes wäre es möglich, die Anliegen der Gruppen und Initiativen mit erheblich mehr Nachdruck zu vertreten.

Abschließend wurde von vielen TeilnehmerInnen der Wert der Veranstaltung als Informationsbörse hervorgehoben, aber auch ihr Beitrag zur Stärkung der Motivation für die zukünftige Arbeit.

Dr. Manfred Schwarzmeier, Akademie für Politische Bildung Tutzing

Die 60 Seiten umfassende Dokumentation der Tagung kann als PDF-Datei unentgeltlich bei uns bestellt werden.

 

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