Teil 3 der dreiteiligen Reihe zur aktuellen Situation in Bosnien und Herzegowina.
In Bosnien und Herzegowina fanden am 2. Oktober allgemeine Wahlen statt, mit teils überraschenden Resultaten: Mit Denis Becirovic wird erstmals ein Sozialdemokrat im dreiköpfigen Staatspräsidium sitzen, zusammen mit Zeljko Komsic verfolgen damit zwei Vertreter im hohen Staatsamt einen dezidiert europäischen und vor allem anti-nationalistischen Kurs. Das ist die gute Nachricht, die vor allem den Demokraten und Demokratinnen im Lande Hoffnung verleiht. Die schlechte Nachricht: Mit Zeljka Cvijanovic wird eine bosnisch-serbische Hardlinerin das Trio vervollständigen, die den Sezessionskurses der Republika Srpska, des serbisch dominierten Landesteiles, maßgeblich unterstützt. Politische Konflikte dürften also weiterhin an der Tagesordnung sein.
Negativschlagzahlen machte zudem der Hohe Repräsentant, der Deutsche Christian Schmidt: Am Wahlabend nutzte er seine Sondervollmachten (Bonn-Power), um das bosnische Wahlsystem und die Verfassung des kroatisch-bosniakischen Landesteils zu ändern. Kritiker im In- und Ausland werfen ihm seither vor, dass er damit ausschließlich den Einfluss der radikal-nationalistischen Kroatenpartei HDZ erweiterte, die eine eigene, kroatisch dominierte Entität anstrebt.
VertreterInnen der Zivilgesellschaft, deren Bürgerrechte im Land eingeschränkt sind, sehen Schmidt im Bund mit den Ethnonationalisten: Die Diskriminierung von Roma, Juden und BürgerInnen, die der Europäische Gerichtshof in Straßburg in mehreren Urteilen verurteilt hatte, würden auf diese Art und Weise zementiert.
Scharfe Kritik an dem Deutschen üben zudem etliche EU- und Bundestagsparlamentarier: Schmidt´s Handeln sei undemokratisch und schade dem Amt, so heißt es. Verfassungsexperten argumentieren zudem, dass die ungewöhnliche Intervention des Deutschen möglicherweise gegen Europäisches Recht und die bosnische Verfassung verstoße. Bosnien ist in Aufruhr, BürgerInnen fordern Schmidts Rücktritt – und die Rücknahme seiner Appeasement-Politik.
Unterstützung kommt dagegen von den USA und Großbritannien – und aus Kroatien, das die Wahlrechtsänderungen öffentlich feierte. Zagreb lobt das Eingreifen des Deutschen als Erfolg seiner breit angelegten Lobbyarbeit. Internationale Analysten sehen in der Haltung Zagrebs und Belgrads zunehmend eine gefährliche Einmischungspolitik der beiden Nachbarländer, die bereits im Bosnienkrieg Teile des bosnischen Territoriums für sich reklamierten.
Wir diskutieren mit:
Tanja Topić, Analystin, Banja Luka
Prof. Dr. Jens Woelk, Verfassungsrechtler Universität Trento
Bodo Weber, Balkanexperte, Democratization Policy Council (DPC)
Moderation: Marion Kraske, Politologin/Publizistin
Hier kann man die Veranstaltung nachschauen:
Bosnien und Herzegowina - die zweifelhafte Rolle der Internationalen Gemeinschaft - Heinrich-Böll-Stiftung Hamburg e. V.
Direkt auf YouTube ansehenEine Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftungen Baden-Württemberg, Hamburg und der Petra-Kelly-Stiftung.
Gefördert von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg.