Angekommen – Nun wird aufgenommen!

Kommunale Konzepte für die Integration vor Ort - Fachtagung im Rahmen des 30. GRIBS-Kommunalkongresses

Diskussionsrunde während der Tagung

Die vergangenen Monate waren geprägt von Meldungen über eine starke Zuwanderung an Flüchtlingen und Asylsuchenden. Ohne den unermüdlichen Einsatz vieler tausender Ehrenamtlicher wäre das alles nicht zu schultern. Doch nach den Themen „Aufnahme“, „Unterbringung“ und „Versorgung“ stehen nunmehr die Aufgaben der gesellschaftlichen Integration der neu Hinzugezogenen auf der Tagesordnung in den Kommunen. Dabei sind es auch hier häufig zuerst einmal die Ehrenamtlichen, die gute Ideen entwickeln, wie wir unsere neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger vor Ort in die Dorf- und Stadtgesellschaft, in der Schule, im Kindergarten, im Sportverein, bei der Feuerwehr integrieren können. Aber auch Kreise, Städte und Gemeinden können und müssen ihre Integrationsanstrengungen verstärken. Daraus erwachsen viele, viele gute Beispiele. Unsere Tagung bot die Gelegenheit, einen kleinen Ausschnitt dieser "good practice"-Beispiele kennen zu lernen, aber auch Hilfen sowie konkrete Tipps zu bekommen, was man gegen Vorurteile und gegen die Hetze von Rechts unternehmen kann.

Martin Becher

Martin Becher analysierte die Hintergründe und Ursachen für das Erstarken rechtspopulistischer und rechtsextremer Strömungen in den vergangenen Jahren. Er betonte zunächst, dass verschiedene Studien („Mitte-Studie“, Heitmeyers Untersuchungen zu „Deutschen Zuständen“) eine seit Jahren in Deutschland vorhandene Neigung zu „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ bei 10-15% der Bevölkerung nachgewiesen haben. Neu sei lediglich, dass diese Haltung mittlerweile offen gezeigt und ausgesprochen werde. Hinsichtlich der Ursachen verwies Becher auf Krisenerscheinungen in allen gesellschaftlichen Sektoren: in der Ökonomie („Verteilungskrise“), in der Politik („Legitimations- und Repräsentationskrise“, in der Gesellschaft („Identitätskrise“). Unsicherheit und Angst seien die Folge und der fruchtbare Boden für „einfache Lösungen“, wie sie von Populisten vertreten werden. In der Auseinandersetzung mit Rechtsextremen und Rechtspopulisten plädierte Becher, auch wenn es manchmal schwer falle, für eine Trennung zwischen Person und Position. Menschenfeindliche Positionen müssen klar zurückgewiesen und bekämpft werden. Dies sollte jedoch nicht mit einer Abwertung der jeweiligen Personen verbunden sein.

Christine Kamm

Christine Kamm betonte, dass Integration in Bayern funktioniere – allerdings nicht wegen, sondern trotz der Politik der Bayerischen Staatsregierung. Das zeige sich beispielhaft am von der CSU-Regierung vorgelegten Landesintegrationsgesetz. Darin sei kein einziger Paragraph enthalten, der der Integration wirklich nütze. „Das ist ein Integrationsverhinderungsgesetz!“, erklärte Kamm. Aus diesem Grund habe die grüne Landtagsfraktion einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht.

Kamm forderte entsprechende Finanzmittel für die Kommunen, die sich um die Integration vor Ort kümmern müssen, und kritisierte die Einrichtung sog. Ankunfts- und Rückführungszentren (ARE). Dort seien keine rechtsstaatlich korrekten Asylverfahren möglich und die Standards für Unterbringung und Verpflegung unzumutbar. An die Kommunen gerichtet, plädierte Kamm dafür, dass sich Oberbürgermeister*innen und Landrät*innen gegen die geplante Zentralisierung der Unterbringung von Flüchtlingen wehren müssten.

Mitra Sharifi

Mitra Sharifi plädierte eindringlich für eine verstärkte politische Partizipation von Migrant*innen. Integration müsse verstanden werden als das „gleichberechtigte Miteinander in einer inklusiven Gesellschaft“. Die gegenwärtige Situation kennzeichnete sie als zwiespältig: Auf der einen Seite gebe es nach wie vor eine sehr breite Willkommenskultur insbesondere in der Zivilgesellschaft. Auf der anderen Seite sehe sie ein „schlimmes Roll-Back“, wie sie es vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten habe, mit einer auf Abschreckung von Flüchtlingen und Migrant*innen ausgerichteten Politik und einem Erstarken anti-liberaler Kräfte.

Entscheidend für eine gelingende Integration ist für Sharifi die Schule. Das gegenwärtige Schulsystem berücksichtige die Heterogenität und Multikulturalität der Schüler*innen in keiner Weise. Auch die Lehrerausbildung habe in dieser Hinsicht deutliche Defizite.

Das Wahlrecht für Migrant*innen ist – so Mitra Sharifi – spielt für die Integration eine entscheidende Rolle. Das politische „Empowerment“ von Migrant*innen ist für sie eine wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Integration. Ein Defizit sieht sie auch in den Kommunalverwaltungen: Dort gebe es keine Expert*innen, keine Ressourcen und keine Stellen für die Integration. Demnach fällt gerade den kommunalen Ausländer- bzw. Migrantenbeiräten eine immer größere Rolle zu, der sie aber nur gerecht werden könnten, wenn sie von der Struktur und von der Ausstattung her gestärkt werden.

Ulrich Maly

Dr. Ulrich Maly wies zunächst auf eine scheinbare Selbstverständlichkeit hin: „Integration setzt Begegnung voraus!“ Daran mangle es aber – trotz des begrüßenswerten Einsatzes von Helferkreisen – noch sehr.

Für Maly spielt die Sprachvermittlung bei der Integration die entscheidende Rolle. Dabei müssten aber die spezifischen Voraussetzungen der Flüchtlinge berücksichtigt werden. Man könne nicht einfach für einen Analphabeten den gleichen Sprachkurs anbieten wie für einen Flüchtling mit Hochschulstudium. Maly plädierte zudem für „Respekt vor der Muttersprache“. Dies könne etwa durch eine Zusatznote im Zeugnis oder als Ausgleichsmöglichkeit für schlechtere Noten geschehen. Hinsichtlich der beruflichen Qualifikationen müsse man sehr sorgfältig die vorhandenen Kenntnisse analysieren, auch und gerade da, wo diese nicht zum hiesigen Qualifikationskanon passen würden.

Maly teilte die derzeit oft geäußerte Auffassung nicht, die „Stimmung“ sei gekippt. Die breite Willkommenskultur habe sich nicht verändert. Allerdings gebe es eine gewisse Ratlosigkeit, wie es weitergehen soll: „Alles läuft im Kriseninterventionsmechanismus“. Auf die Verunsicherung und auch Angst, die mittlerweile viele Menschen erfasst habe, müsse man aber eingehen. Maly sieht in der gegenwärtigen Situation als Teil einer „nationalen Selbstvergewisserung“, die nach innen die Frage beantworten müsse: „Gehören die Neuen zu uns?“. Und nach außen müsse man die Rolle Deutschlands thematisieren, nach der ungleichen globalen Verteilung des Reichtums, nach gerechten Handelsstrukturen, nach Demokratie und Korruption fragen.

Die vier Themenforen (Wohnen und Wohnumfeld / Sprache, Schule, Bildung und Kultur / Arbeitsmarkt / Ehrenamt, Zivilgesellschaft, Sport) zeigten die vielfältigen Möglichkeiten auf, in den unterschiedlichen Lebensbereichen konkrete Projekte durchzuführen, die die Integration Flüchtlingen ganz praktisch vorantreiben. In unserer Material- und Link-Liste finden sich dazu viele weiterführende Hinweise.

Zum Abschluss der Tagung berichtete Susie Wimmer von „Clowns ohne Grenzen“ über die Arbeit ihres Vereins, der sowohl in den Krisengebieten im Nahen Osten als auch jetzt vor Ort in Flüchtlingsunterkünften in Deutschland in sehr berührender Weise dafür sorgt, dass das Lachen wieder zurückkehren kann und Menschlichkeit eine Chance bekommt. Der Film „Happy Welcome“ dokumentiert diese Arbeit sehr anschaulich und eindrücklich.

 

Materialien - Links - Literaturhinweise

Phineo (Hrsg.): Begleiten, Stärken, Integrieren. Ausgezeichnete Projekte und Ansätze für Flüchtlinge in Deutschland. Berlin 2016 (PDF-Datei: 14 MB)

Hubertus Schröer: Kommunale Integrationskonzepte. Verband für interkulturelle Arbeit e.V., München o.J.

Britta Schellenberg/Martin Becher (Hrsg.): Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Herausforderungen und Gelingensfaktoren in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus. Schwalbach/Ts. 2015

 

Forum A: Wohnen und Wohnumfeld

 

Forum B: Sprache, Schule, Bildung und Kultur

ADIA: www.adia-erding.de

 

Forum C: Arbeitsmarkt

Internet: www.netzwerk-iq.de und www.migranet.org  

Flüchtlinge in Arbeit und Ausbildung. Potenziale für Wirtschaft und Gesellschaft. Bilanzpapier des ESF-Bundesprogramms zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge mit Zugang zum Arbeitsmarkt. Berlin 2015

Charta der Vielfalt (Hrsg.): Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt! Praxis-Leitfaden für Unternehmen. Berlin 2015

 

Forum D: Ehrenamt, Zivilgesellschaft, Sport

Leonhard Perl: Integrationsprojekt des Deutschen Alpenvereins. 

 

Referent*innen:

Martin Becher
Geschäftsführer der Projektstelle gegen Rechtsextremismus, „Bayerisches Bündnis für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen“
Evangelisches Bildungs- und Tagungszentrum

Christine Kamm, MdL
Asylpolitische Sprecherin der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag

Mitra Sharifi
Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns (AGABY)

Dr. Ulrich Maly
Oberbürgermeister, Stadt Nürnberg

Jürgen Mistol, MdL
Kommunalpolitischer Sprecher der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag

Helga Stieglmeier
Kreisrätin, Landkreis. Erding, GRIBS-Vorstandsmitglied

Jens Marco Scherf
Landrat, Landkreis Miltenberg, GRIBS-Vorstandsmitglied

Max Niedermair
Integrationsbeauftragter des Landkreises Miesbach

Richard Zieglmeier
Kreisrat, Stadtrat Abensberg, GRIBS-Vorstandsmitglied

Samuel Fosso
Freising

Johannes Becher
Bezirks-, Kreis- und Gemeinderat, GRIBS-Vorstandsmitglied

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