Grenzenlos: Rechtsextremismus als internationales Phänomen

Rechtsextremismus macht nicht an Grenzen halt. Trotz vieler ideologischer und organisatorischer Unterschiede hat die internationale Vernetzung rechter Populisten, Neonazis, aber auch rechtsterroristischer Gruppierungen in den letzten 20 Jahren europaweit stark zugenommen. Dieser internationalen Dimension des Rechtsextremismus widmete sich unsere Tagung, die wir in Zusammenarbeit mit der Akademie für Politische Bildung Tutzing veranstalteten.

Petra-Kelly-Stiftung Logowand

Vernetzungen – Strategien – Gegenmaßnahmen

Grenzenlos: Die internationale Dimension des Rechtsextremismus

Rechtsextremismus macht nicht an Grenzen halt. Trotz vieler ideologischer und organisatorischer Unterschiede hat die internationale Vernetzung rechter Populisten, Neonazis, aber auch rechtsterroristischer Gruppierungen in den letzten 20 Jahren europaweit stark zugenommen. Zunehmend intensiver entwickelt sich die transnationale Musik- und Konzertszene, zunehmend umsatzstärker wird der Handel mit einschlägigen NS-Produkten – stark befördert durch die Möglichkeiten des Internets. Dieser internationalen Dimension des Rechtsextremismus widmete sich unsere Tagung, die wir in Zusammenarbeit mit der Akademie für Politische Bildung Tutzing veranstalteten.

In nahezu allen europäischen Ländern existiert ein zwischen 10 und 20 Prozent angesiedeltes Wählerreservoir, aus dem rechte Parteien schöpfen können. Dabei, so Michael Minkenberg von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, stellt Ostmitteleuropa “den dynamischsten Nährboden für rechte Parteien” dar. Dort sei die Membrane zwischen Rechts und Mainstream inzwischen sehr durchlässig geworden und die Zusammenarbeit von Parteien, Bewegungen und subkulturellen Milieus weit fortgeschritten. Rechtsextreme Parteien werden dort inzwischen als „normaler“ Teil des politischen Spektrums wahrgenommen.  Allerdings wendet sich der Nationalismus und Rassismus, der dort wiederbelebt wurde, anders als in Westeuropa nicht so sehr gegen Immigranten als gegen ethische Minderheiten wie die Roma.

Dass die Trennlinie zwischen Rechtsparteien und politischem Mainstream  in den meisten westeuropäischen Ländern noch weitgehend dicht hält, hängt Minkenberg zufolge in erster Linie damit zusammen, dass sich die anderen, insbesondere konservativen Parteien bisher einer Zusammenarbeit mit rechten Parteien verweigert haben. Dies müsse auch weiterhin so bleiben und darüber hinaus sei ein neuer öffentlicher Diskurs über Immigration und Multikulturalismus zu führen, so Minkenbergs Apell.

Rainer Fromm, Autor vieler Filmbeiträge zum Thema Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus, machte im Anschluss an seine Dokumentation „Propaganda. Hass. Mord. Die Geschichte des rechten Terrors in Europa“ deutlich, dass der Rechtsterrorismus lange Zeit als nicht so ernst eingestuft wurde wie der Terror von links. Immer wieder registriere er den fatalen Hang verantwortlicher Stellen, so Fromm, Attentate wie das auf das Oktoberfest 1980 oder auch die NSU-Mordserie als die Taten Einzelner, losgelöst von Netzwerken zu sehen. Dabei hätte jeder, „der [bei Interviews mit Neonazis] genau zuhörte, wissen müssen, dass es Untergrundstrukturen gibt.“ Problematisch sah Fromm, dass z.B. der Weg von Waffen über Ländergrenzen hinweg nicht intensiv genug aufgeklärt werde. Ebenso kritisch schätzte er die Rolle von V-Leuten ein: Einige hält Fromm für „Turbobeschleuniger“ bei Straftaten.

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Tagungsleiter Manfred Schwarzmeier, Autor Rainer Fromm, Tagungsleiter Gerd Rudel

Mit der „Neuen Rechten“ beschäftigte sich Armin Pfahl-Traughber von der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Dabei, so der Rechtsextremismusexperte, handele es sich dabei weniger um etwas “neues”, als vielmehr um Reproduktionen von Positionen z.B. des Antiparlamentarismus aus den 1920er Jahren.  Antipluralistische Konzeptionen (Oswald Spengler, Carl Schmitt u.a.) stehen dabei unverkennbar Pate. Ziel der Protagonisten ist es, erst geistiger Sieger in der politisch-kulturellen Auseinandersetzung zu werden, um anschließend politische Siege anzustreben. Ihre Absicht ist es nicht, Parteien zu gründen, sondern gesellschaftliche Multiplikatoren (Lehrkräfte, Journalisten etc.) für sich zu gewinnen. Beispielhaft steht für die geistige Aufrüstung das private “Institut für Staatspolitik (IfS)”, das entsprechende Schulungen anbietet. Aber auch die “Neue Rechte” ist in sich gespalten: Der “Fundamentalismus-Variante” (offene Ablehnung der Normen und Regeln des demokratischen Verfassungsstaates) steht die “Mimikry-Variante” gegenüber, die sich gemäßigter gibt, um so breiter in die Öffentlichkeit hinein wirken zu können. Während man vor allem in der NPD Anhänger ersterer Richtung findet, finden sich zweitere vor allem im Autorenkreis der “Jungen Freiheit” sowie unter den Mitarbeitern des “IfS”.

“In Deutschland”, so konstatierte Werner T. Bauer von der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und -entwicklung, “sind Sie noch in der komfortablen Lage, sich mit keiner erfolgreichen [rechtspopulistischen] Partei auseinandersetzen zu müssen.” Denn auch für Österreich träfe zu, was Minkenberg für die ostmitteleuropäischen Staaten konstatierte: Die starke Durchlässigkeit der gesellschaftlichen Membrane zwischen Rechts und dem Mainstream. Eine Entwicklung, die Bauer für Gesamteuropa kommen sieht, ist die starke Zunahme rechtspopulistischer Strömungen. Diese kommen meist sozialpopulistisch daher und stückeln ihre Programmatik relativ beliebig zusammen. Dabei spielt Kapitalismuskritik eine gewisse Rolle. Kapitalismus wird mit “multikulturellem Einheitsbrei” gleichgesetzt, gewürzt mit etwas Antisemitismus. Rechtspopulistische Parteien sind in der Hinsicht modern, dass sie auf eine sehr volatile Wählerschaft eingestellt sind.

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Werner T. Bauer: Rechts wird zum Mainstream

Welch wichtige Rolle der Musik für die Internationalisierung der rechtsextremistischen Jugendkultur zukommt, darauf wies Jan Raabe (Argumente und Kultur gegen rechts e.V.) hin. Mit der Übernahme eines jugendkulturellen Stils (Hardcore) in die extreme Rechte gelang es, Zugang zu jugendlichen Subkulturen zu finden. Wegbereiter dafür war die Band “Screwdriver” Ende der 1970er Jahre mit der Platte „Hail the New Dawn“, die Punk-Rock mit rechten Inhalten verband.  Insbesondere dieser “White-Power-Rock” trug seitdem zur Internationalisierung der Szene bei. Konzerte mit rechtsextremen Bands, die zu einem großen Anteil z.B. in der Tschechischen Republik oder Ungarn stattfinden, hält Raabe für die bedeutendste Dimension. Der dort geschaffene Erlebnisraum verbunden mit den Liedtexten trage entscheidend zur Verankerung rechtsextremistischen Gedankenguts bei den Jugendlichen bei. Allerdings setzten rassistische Vorurteile sowie Revanchismus der transnationalen Zusammenarbeit auch Grenzen. So fanden zwischen 2008 und 2012 nur zwei Konzerte in Polen statt mit deutscher Beteiligung.

Nach Einschätzung Robert Andreaschs (a.i.d.a. e.V. – Antifaschistische Informations-, Dokumantations und Informationsstelle) spielen bei diesen Konzerten auch wirtschaftliche Interessen eine bedeutende Rolle. Neben dem Verkauf von CDs werden dort Anstecker oder Aufkleber sowie Kleidung entsprechender Labels gehandelt. Der größte Umsatz mit dem Verkauf einschlägiger NS-Produkte erfolgt allerdings über den Online-Handel. Insgesamt wird das jährliche Volumen auf einige Millionen € geschätzt – Geld, das zum Teil wieder in den Aufbau organisatorischer Strukturen fließt, nach dem Motto „Für die Szene arbeiten, an der Szene verdienen“. Dabei spielen Marken wie „Thor Steinar“ und online-Portale wie walhall-athletik.com , svastone.com oder musclemaker.sk eine wesentliche Rolle, um „national befreite Zonen“ des Konsums zu schaffen.

Dass rechtsextremistische Organisationen das Internet intensiv zu nutzen wissen, ging aus dem Beitrag von Johannes Baldauf (Amadeu Antonio Stiftung, Berlin) hervor. So weist die NPD bei Facebook über 50.000 “Gefällt mir”-Bekundungen auf, ein Wert, der nur von CDU, SPD und den GRÜNEN übertroffen wird. Über 7000 rechtsextreme Webangebote, davon 5500 im Social Web verbreiten Propaganda und spielen eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung bestehender Anhänger sowie der Rekrutierung neuer Anhänger. Wenn Angebote gelöscht werden, weichen die Anbieter auf amerikanische, russische Server aus, so zum Beispiel auf die russische Facebook-Variante VK, oder kreieren einen eigenen E-Mail-Dienst. Die REX Internet-Bibliothek enthält jede denkbare Form rechtslastiger Literatur zum Herunterladen als PDF-Dateien. Und „politically incorrect“ steht mittlerweile auf Platz 9 aller deutschsprachiger Blogs.
Manfred Schwarzmeier / Gerd Rudel

Im Folgenden dokumentieren wir die Tagungsbeiträge und geben Hinweise auf weitere interessante Links und Veröffentlichungen. 

Michael Minkenberg: Die europäische radikale Rechte und Fremdenfeindlichkeit
in West und Ost: Trends, Muster und Herausforderungen. In: Ralf Melzer/Sebastian Serafin (Hrsg.): Rechtsextremismus in Europa. Länderanalysen, Gegenstrategien und arbeitsmarktorientierte Ausstiegsarbeit. Berlin 2013, S. 9-38
Die gesamte Studie gibt es zum Herunterladen als PDF-Datei.

Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Die neue rechte Herausforderung. Rechtsextremismus in Deutschland und Europa, Berlin 2005
Download als PDF-Datei 

Propaganda, Hass, Mord. Die Geschichte des rechten Terrors in Europa. 
Dokumentarfilm von Rainer Fromm
Der Film ist u.a. bei YouTube zu sehen: youtube.com/watch?v=BDK88KaFK9U

Weitere Dokumentationen von Rainer Fromm zum rechtsextremistischen Terror:

Doku zu V-Leuten in der rechten Szene "Brandstifter im Staatsauftrag": youtube.com/watch?v=FzfbStaOVL8
Doku über Beate Zschäpe: www.youtube.com/watch

Armin Pfahl-Traughber: „Kulturrevolution von rechts“ – Fraktionen, Positionen und Wirkung der „Neuen Rechten“ als Strömung des intellektuellen Rechtsextremismus (25 Thesen zum Vortrag)

Armin Pfahl-Traughber (Hrsg.): Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2013. Statistisches Bundesamt, Brühl / Rheinland 2013

Werner T. Bauer: Antikapitalismus und Globalisierungskritik von rechts –
Erfolgskonzepte für die extreme Rechte? (Zusammenfassung des Vortrags)

Werner T. Bauer: Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien in Europa. Wien 2013
Download als PDF-Datei

Christina Kaindl: Antikapitalismus und Globalisierungskritik von rechts –
Erfolgskonzepte für die extreme Rechte? In: Peter Bathke/Susanne Spindler (Hrsg.): Neoliberalismus und Rechtsextremismus in Europa. Zusammenhänge – Widersprüche – Gegenstrategien, Berlin 2006, S. 60-75
Die gesamt Studie zum Herunterladen als PDF-Datei

Jan Raabe: “white power worldwide” - RechtsRock & Jugendkultur(en)
Die Präsentation kann als PDF-Datei bei uns bestellt werden.

Christian Dornbusch/Jan Raabe (Hrsg.): Rechts-Rock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategie. Unrast Verlag, Münster 2002

Johannes Baldauf: Web 2.0: Instrument zur Internationalisierung des Rechtsextremismus 
Die Präsentation kann als PDF-Datei bei uns bestellt werden.

jugendschutz.net (Hrsg.): Rechtsextremismus online. Beobachten und nachhaltig bekämpfen. Mainz 2013
Bericht als PDF-Datei

Amadeu-Antonio-Stiftung (Hrsg.): Zwischen Propaganda und Mimikry. Neonazi-Strategien in Sozialen Netzwerken. Berlin 2011
Broschüre als PDF-Datei

Anna Verena Münch/Michaela Glaser (Hrsg.): Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Europa. Erscheinungsformen, gesellschaftliche Reaktionen und pädagogische Antworten. Halle 2011
Buch als PDF-Datei 

ReferentInnen

Prof. Dr. Michael Minkenberg
Europa-Universität Viad­rina,  Lehrstuhl für Politikwissenschaft
Große Scharrnstr. 59
15230 Frankfurt (Oder) 
minkenberg@euv-frankfurt-o.de

Dr. Rainer Fromm
Regisseur von „Propaganda. Hass. Mord. Die Geschichte des rechten Terrors in Europa“
Postfach 12 06 35
65084 Wiesbaden 

Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber
Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung Brühl)
Willy-Brandt-Str. 1
50321 Brühl  
Armin.Pfahl-Traughber@fhbund.de

Dr. Werner T. Bauer
Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung
Gregorygasse 21-27/7/1
A-1230 Wien
werner.bauer@politikberatung.or.at

Jan Raabe
Journalist, Autor
Argumente & Kultur gegen rechts e.V.
Postfach 10 29 48
33529 Bielefeld 

Robert Andreasch
Journalist
a.i.d.a. e.V. - Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V.
Postfach 40 01 23
80701 München 
info@aida-archiv.de

Johannes Baldauf
Wissenschaftlicher Mitarbeiter für netz-gegen-nazis.de und no-nazi.net
Amadeu-Antonio-Stiftung
Linienstr. 139
10115 Berlin 

 

Veranstaltungsort
Tutzing

 

Partner

Akademie für Politische Bildung Tutzing